'Hommage á John Cage'

Dr. Peter Kiefer Köln.
Eröffnung der Ausstellung von Josefh Delleg im Kunstverein Köln Rechtsrheinisch 2003
Mit den Ohren sehen, den Augen hören.
Josefh Delleg lädt uns ein, unseren multisensorischen Sinnesapparat in seiner Ganzheit zu benutzen.
Sind wir nicht gewohnt Kunst vor allem betrachtend visuell wahrzunehmen? Gibt unser Auge nicht scheinbar das objektivste Bild der Wirklichkeit? Ist ein Bild in seiner unwandelbaren visuellen Realität nicht etwas beruhigendes? Wir können genau hinsehen, können es analytisch betrachten und können vor allem sicher sein, beim zweiten und dritten Hinsehen bleibt es unverändert vor unseren Augen. Wir können es „uns vor Augen führen“, wir können uns „ein Bild davon machen“. Ein Bild ist ein verlässlicher Partner der Rezeption und gibt uns in seiner Unwandelbarkeit die trügerische Sicherheit, so die Realität in ihrer Vollständigkeit erfahren zu haben. Mit Erkennen meinen wir oft, es gesehen zu haben. In der englischen Sprache gibt es eine interessante Redewendung: „do you see what I am saying, don't „ Das Problem ist hier, dass in der Sprache das Wort „Verstehen“ durch das Wort „Sehen“ substituiert wird. Unsere Seinserfahrung wird auf das Visuelle kondensiert und so um wesentlich weitere Wahrnehmungsebenen betrogen.
„Sie sehen was ich meine, nicht wahr.“
Wie schreibt Prof. Heiner Georgsdorf über die Arbeiten von Josefh Delleg so treffend: “Kein realistisches Bild kann heute noch die Komplexität unserer Wirklichkeit, die Vermessung von realen und fiktiven, virtuellen Erfahrungen, von bewussten und unbewussten Befindlichkeiten und Empfindungen widerspiegeln.“
Josefh Dellegs Arbeit ist nicht auf den ersten Blick zu erfahren. Obwohl sie erstmal erstaunlich simpel, im Geiste der arte povera auftritt, ist ihr Wesen mehrdimensional und tiefsinnig.
Die Objekte der Installation sind Gegenstände des Alltags, denen jeder von uns habhaft werden kann. Selbst Dellegs eigene Beschreibung der Materialien ist nüchtern und unprätentiös und liest sich fast wie eine Gebrauchsanweisung: Stahlpulte, ca. 30 ähnlich Dirigentenpulten, Kleinmotoren, Stahlstäbe, entsprechende Anzahl von Stühlen. Durch die Aneignung dieser Repräsentation des Alltags durch Josefh Delleg erfahren diese Gegenstände jedoch eine Wandlung, die so vielschichtig und mehrdimensional ist, das eine Deutung hier nur zu einer unangebrachten Reduktion führen würde. Sicher ist aber, dass in diesem verborgenem Reichtum viele Wege geöffnet werden können, sich dem Kunstwerk zu nähern.
Ein Weg kann dabei die Betrachtung der Zeit sein, denn die Arbeit hat ein Sein und ein Werden und thematisiert dadurch die Zeit und das Vergehen. Die Arbeit hat einen Beginn und wird eine Vergangenheit - eine Geschichte haben, denn die sich bewegenden Stahlstäbe hinterlassen auf der Pultoberfläche eine Spur, die sich nach und nach tiefer in die stählerne Oberfläche eintreibt. Es gibt also ein Fortschreiten, eine Entwicklung, eine zunehmende Verletzung - und dies ist ein Wort was Delleg selbst für die entstehende Hinterlassenschaft von Kratzern und Spuren auf der ursprünglich reinen Oberfläche gewählt hat. Ist es nicht deshalb konsequent, jetzt schon vorausblickend in die Zukunft auf das Ende der Ausstellung, wenn die Motoren abgestellt werden, diese dann verbleibenden Spuren als Narben der Zeit zu bezeichnen?
Auf jeden Fall hat die Installation ein Jetzt, in dem sich quasi prophetisch die Zukunft verbirgt. Wir werden in diesem Jetzt und zu diesem Zeitpunkt, an dem wir in die Installation eintreten, auf das unabwendbare Fortschreiten der Zeit gelenkt. Eine Reflexion über das Phänomen allgemein und die Bedeutung für uns individuell ist unausweichliche Folge.
Ein weiterer Weg zu und in diese Arbeit ist die Beschäftigung mit dem Aspekt Raum, der sich in der seriellen Anordnung gleicher Elemente zu einer minimalistischen Raum – Komposition offenbart.
Ich zitiere nochmals aus dem Buch “tempi crescendi“ über Josefh Delleg. Diesmal Friedrich Block: „Wiederholung schafft Konzentration; Bekräftigung des Gleichen, Ähnlichen und Bekannten. Aber auch Gefährdung – Nie mehr wird dasselbe erreicht. Wenn Form auf Form, Wort auf Wort, Beobachtung auf Beobachtung folgt, so bleibt jedes Ereignis im Formulierungsprozess, selbst bei größter Gestalt – und Sinnkonstanz, doch unwiederbringlich verloren, vergangen einmalig. Die Wiederholung des Gleichen lenkt die Aufmerksamkeit auf die Lücke dazwischen. Erinnerung und Vorgriff, Abweisung jeder Illusion von inhärenter Existenz“. Wiederholung schafft Struktur und Aufmerksamkeit und eine Struktur von Gleichem im Raum ist architektonisches Element, es gliedert den Raum in einen Rhythmus. Aber die Wiederholung bedeutet auch nacheinander, eins nach dem anderen. Der Aspekt des Raums beinhaltet also auch den Hinweis auf die Zeit. Raum/Zeit als inhärente sich gegenseitig beinhaltende Einheit.
Wir sehen eine Installation in einem Raum, wir sehen eine Reihung von gleichen Objekten, wir sehen das einzelne Objekt, ein Notenpult, ein Stuhl davor, wir sehen dass sich dort etwas bewegt, wir hören auch etwas. Nun habe ich einleitend schon darauf hingewiesen, dass eine ausschließlich visuelle Betrachtung hier, wie auch bei vielen anderen audiovisuellen Werken, nur unbefriedigend sein kann. Es handelt sich bei Josefh Dellegs Arbeit um eine akustische Installation, wobei ich persönlich lieber von auditiv, bzw. vom Auditivem spreche, was nämlich die Gehör Wahrnehmung betreffend bezeichnet, als eine Parallele um Begriff des Visuellen.
Unsere Hörwahrnehmung ist etwas so phantastisches und bietet einen solchen Reichtum und Einmaligkeit unter unseren Sinnen, dass dessen häufige Missachtung völlig unverständlich erscheint. Rein physiologisch liefert uns das Ohr ein Messinstrument, was auch mit heutigen Technologien nicht nachkonstruierbar ist. Wir sind in der Lage, Frequenzen und damit Tonhöhen von 20 bis 20.000 Hz, also Schwingungen pro Sekunde zu hören und bewegen uns dabei in Messbereichen von einem Zehntel einer Tausendstel Sekunde. Wir können selbst Amplituden hören, die den Durchmesser eines Wasserstoffatoms haben und trotzdem hält unser Gehör dem tosenden Lärm unserer heutigen Welt stand und kann selbst einen startenden Jet wahrnehmen. Das allerdings auf Dauer nicht unbeschadet. Noch faszinierender ist aber, dass ein großer Teil unserer Orientierung und Wahrnehmung im Raum über unser Ohr und den daran angeschlossenen Gleichgewichtssinn geschieht. Geht man davon aus, dass die Bewegungsfreiheit unserer Hände und Arme durch die Ausbildung von manuellen Fertigkeiten dazu beigetragen hat, dass der Urmensch überhaupt seine Intelligenz entwickeln konnte, so ist der Gehör- und Gleichgewichtssinn daran wesentlich beteiligt, ermöglicht dieser doch erst den aufrechten Gang.
Aber nochmal zur Raumwahrnehmung. Wir können mit geschlossenen Augen leicht wahrnehmen, in was für einer Art Raum wir uns befinden und dessen Größe und sogar die Materialbeschaffenheit der Wände anhand der reflektierten Schallwellen sehr genau einschätzen. Wir unterscheiden z. B. einen großen halligen Kirchenraum, von einer teppich-belegten Lobby eines Hotels. Aber auch die Richtung aus der Klänge an unser Ohr treffen ist für unsere Orientierung im Raum wichtig. Besonders blinde Menschen wissen dies. In früheren Zeiten sogar überlebenswichtig, denn im Dickicht der Wälder konnte man eine Gefahr durch wilde oder sich von hinten anschleichende Tiere nicht sehen, nur hören. Übrigens eine Erkenntnis, die heute in vielen Kinoproduktionen benutzt wird, um die Spannung zu steigern.- es werden leise undefinierbare Geräusche von hinten eingespielt und steigern dadurch unbewusst unseren Stresslevel und machen einen Film spannender, ohne dass wir es merken.
Dazu David Worrell in der Zeitschrift Organized Sound: „Menschen haben eine akute Fähigkeit bestimmte Typen von Beziehungen hörend wahrzunehmen (Dichte, Geschwindigkeit, Harmonizität, Ortung, ect.) und die Psychophysiologie des Hörens macht es besser geeignet als das Sehen für bestimmte Wahrnehmungsaufgaben. Zum Beispiel kann unser Ohr/Gehirn Klänge herausfiltern, indem es einfach die Aufmerksamkeit wechselt; es kann am Rande der Aufmerksamkeit viele hunderte von komplexen Klängen und deren Entwicklung gleichzeitig wahrnehmen und trotzdem leichte kleine einzelne Veränderungen messen“.
(„Humans have an acute ability to perceive certain types of relationships aurally (density, speed, harmonicity, location ect.) and the psychophysiology of hearing makes ist better suited than vision for certain recognition tasks. For instance, the ear/brain can filter sounds simplynby a shift in attention; I can be perypherally aware of many hundreds of complex sounds and their evolution simoultaneously and yet easily detect small particular changes“. David Worrell, Organised Sund. Vol. 1 no.3.)
Unser ear- brain, unser Ohr/Gehirn macht es möglich, z.B. einem Gespräch zu folgen obwohl wir uns in einem Stimmengewirr eines Restaurants oder Bahnhofs befinden, indem die Wahrnehmung die Realität filtert. Ein weiterer und für mich noch wichtigerer Aspekt der auditiven Wahrnehmung ist der soziale Raum des Hörens und dessen immersiven Eigenschaften. Hören – und damit meine ich Zuhören – schafft immer einen Raum sozialer Interaktion. Jetzt gerade müssen sie schweigen, um mir zuhören zu können. Indem etwas in einem Raum klingt, wird es allen zugänglich, was ein sehr demokratischer Aspekt des Schall ist. Trotzdem kann jeder im Zentrum seiner eigenen Hörwahrnehmung bleiben. Hören schafft eine einzigartige Situation, bei der die Bewahrung der Individualität in sozialer Gemeinschaft möglich ist. So gehört z.B. auch das gemeinsame musizieren zu den komplexesten komunikativen Leistungen, denen der Mensch fähig ist.
Ich zitiere: “To look at a room or a landscape I mut move my eyes from one point to another. When I hear, however, I gather sound simoultaneously from every direction: I am at the centre of my auditory world which envelopes me. You can immerse yourself in hearing, in sound. Tere is no way to immerse youself similarly in sight.“ – „Um einen Raum oder eine Landschaft zu betrachten, muss ich meine Augen von einem Punkt zu einem anderen bewegen. Wenn ich höre, wie auch immer, sammle ich Klänge gleichzeitig aus jeder Richtung: ich bin im Zentrum meiner auditiven Welt welche mich umschließt. Man kann sich selbst Hören umgeben, im Klang aufgehen. Es gibt keinen ähnlichen Weg sich selbst im Sehen zu umschließen.“ Anthony Moore nach Friedrich Kittler und Walter Ong.
Es ist nicht Beiwerk, dass Josefh Dellges Skulpturen und Rauminstallationen tönen – es ist ein zentrales Element. Denn genauso wie die Reihung der Objekte einen Rhythmus im Raum schafft, so entsteht Rhythmus aus der Bewegung. Und hier können wir vielleicht auf eine noch tiefere Ebene der Arbeit einsteigen, denn jedes Objekt definiert seinen eigen Rhythmus, seinen eigenen Herzschlag. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – machte es Sinn, dass all diese individuellen Rhythmen einen gemeinsamen Raumklang ergeben. Ob das eine Klang oder Interaktion oder Isolation ist, muss jeder selbst für sich entscheiden. Gleichzeitig bedeutet Rhythmus natürlich unterteilte Zeit. Und über die Bedeutung der Zeit in Dellegs Arbeiten haben wir eben schon reflektiert. Man sieht, Auditives und Visuelles dieser Arbeit gehören untrennbar zusammen. Allerdings muss man den Klangraum der Arbeit genau so respektieren, wie die physische Raumgreifung der Objekte. Insofern bringt Dellegs Arbeit uns zum Verstummen. Dies ist ein Stillwerden aus Respekt und ermöglicht so Versenkung und forschendes Verstehen.
Erkennen im tieferen Sinnen meint uns dabei als Ganzheit und fordert alle unsere Aufmerksamkeit und alle unsere Sinne. Ob Josefh Dellegs Installation dabei Klangkunst ist, oder „ Kunst die klingt“ spielt dabei keine Rolle mehr. Vielleicht ist sie ja vielmehr Idee und Konzept, uns durch Raum und Struktur, visuell wie auditiv vermittelt.
Peter Kiefer, 10 Januar 2003, Köln